25 Jahre EZB…EIN JUBILÄUM OHNE JUBEL

Am 1. Juni feiert die europäische Zentralbank ihr 25 – jähriges Bestehen. Ein ausgezeichneter Moment, um einen genauen Blick auf die aktuelle Politik der europäischen Währungshüter zu werfen. Lange Zeit agierte die EZB in der sich ausbreitenden Inflationssituation sehr zögerlich. Seit Juli 2022 erfolgten dann sieben Zinsschritte, die im aktuell gültigen Leitzins von 3,75Prozent gipfelten. Das aktuelle Stimmungsbild im entscheidenden Gremium der Notenbanker lässt sich aus den jüngsten Äußerungen von Bundesbankchef Joachim Nagel ablesen: „Die EZB muss die Zinsen im Kampf gegen die Inflation hochschrauben und dabei Dämpfer für die Wirtschaft in Kauf nehmen. Das gefällt natürlich nicht jedem“, betonte Nagel beim Wirtschaftstag des Wirtschaftsrats der CDU in Berlin.

Doch auch wenn die Anhebung der Zinsen auf ein ausreichend restriktiv wirkendes Niveau unpopuläre Entscheidungen erfordere, müsse die EZB ihrem Mandat gerecht werden. Das mittelfristige Ziel der Währungshüter bei der Inflation laute 2 Prozent: „Nicht mehr und nicht weniger. Und wir wollen dieses Ziel zeitnah erreichen.“ Gerade das letzte Statement birgt erheblichen Zündstoff. Nicht nur deswegen, weil das Ziel in den vergangenen 25 Jahren 20-mal unterschritten wurde, ohne das ähnlich martialische Kommentare zu hören gewesen wären. Nein. Wissenschaftlich betrachtet gibt es keinen Beleg dafür, dass die Zinspolitik der Notenbank kurzfristige Ergebnisse erzielt. Im Gegenteil. Neue Analysen zeigen das Dilemma der EZB klar auf: Demnach hat ein starker Zinsanstieg kurzfristig kaum Auswirkungen auf die Inflation, jedoch erhebliche Kosten für Wirtschaft, Einkommen und Finanzstabilität. Bis Zinserhöhungen eine messbare Wirkung auf die Nachfrage entfalten, dauere es in der Regel mindestens ein halbes Jahr, warnen in diesen Tagen mehrere Volkswissenschaftler in aktuellen Beiträgen.  Und da sich derzeit die Inflation bereits wieder abschwächt, besteht die Gefahr einer übermäßigen Straffung. Historisch wäre es nicht das erste Mal, dass die Notenbank die Zinsen zu stark erhöht. Bereits 2008 und 2011 hatte die EZB die Zinsen in einsetzende Rezessionen hinein erhöht und so die Krisen verschärft. Deswegen sollte die erneute Gläubigkeit der Banker punktgenaue Ergebnisse zu erzielen Verbraucher, Industrie und Investoren gleichermaßen beunruhigen. Zum einen beruht bereits die Messung der Inflationsrate auf unterschiedlichen Konzepten, wodurch die Aussagekraft eingeschränkt wird. Zum zweiten birgt auch das Zahlenmaterial zur aktuellen konjunkturellen Lage ein hohes Maß an Unsicherheit. So überraschte am Donnerstag vergangener Woche (25.5.) die Meldung, dass das BIP der Bundesrepublik entgegen der bisherigen Schätzung eines Null-Wachstums im ersten Quartal 2023 um 0,3 Prozent zurück gegangen ist, nachdem dieser gesamtwirtschaftliche Indikator bereits im letzten Quartal 2022 um 0,5 Prozent geschrumpft war. Das Zahlenmaterial zeigt deutlich auf, dass die Kreditnachfrage wegen der höheren Zinskosten bereits eingebrochen ist. Die Kreditinstitute in Deutschland und der Eurozone berichten dementsprechend von dramatischen Rückgängen im Geschäftsverlauf. Ein Blick auf die großen Wirtschaftsräume kann die These einer sich weiter verschärfenden Inflation ebenfalls kaum anheizen. Die Zahlen zur chinesischen Industrieproduktion im April waren mit einer Wachstumsrate von 5,6 Prozent desaströs. Erwartet hatten die Experten einen Zuwachs von 10,6 Prozent. Die Einzelhandelsumsätze sowie die Daten zu Immobilieninvestitionen enttäuschten ebenfalls. Der beunruhigende Anstieg auf rund 40 Millionen Corona-Infektionen pro Woche dürfte die Wirtschaftsaussichten ebenfalls kaum verbessern.

Und in den USA zeigen die aktuellen Daten zur Entwicklung der Geldmenge einen deutlichen monetären Schock an, der durchaus der Vorbote einer konjunkturellen Delle sein könnte. In einem solchen Umfeld daran festzuhalten, dass es mithilfe der Zinspolitik möglich ist, ein kurzfristiges Inflationsziel mit einer weiteren Erhöhung der Leitzinsen zu erzielen, ohne dabei schweren Schaden anzurichten, erscheint mir äußerst waghalsig. Nun muss man dem Direktorium der EZB zugutehalten, dass seine Situation recht ungemütlich ist. Zum einen erweist sich der Dienstleistungssektor aufgrund der gut beobachtbaren klammen Angebotssituation als Inflationsbeschleuniger. Es ist auch kaum zu erwarten, dass Zinssteigerungen daran etwas ändern können. Zum zweiten arbeitet die europäische Fiskalpolitik in eine ganz andere Richtung als die EZB. Die milliardenschweren Ausgaben zum Ausgleich des Nord-Süd Gefälle in Europa sowie die diversen Hilfspakete der jüngsten Vergangenheit bergen natürlich Konfliktpotential bei der Bekämpfung der allgemeinen Preissteigerungen. Bleibt zu hoffen, dass sich in der EZB eine pragmatische Haltung durchsetzt, die das Inflationsziel in der schwierigen volkswirtschaftlichen Lage flexibler handhabt und auch auf Dauer nicht am 2 Prozent Ziel festmacht. Es gibt viele gute Gründe, die hierfür sprechen.

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