Die FED wendet sich von den Investoren ab

Während ich diese Zeilen für Sie schreibe, sind die internationalen Finanzmärkte weiterhin von hoher Nervosität gekennzeichnet. Eine kurze Erholung stieß in den letzten Tagen bereits an ihre Grenzen. Von Anfang April bis in die vergangene Woche hinein kamen die Notierungen an den internationalen Aktienmärkten ganz erheblich unter Druck, stiegen die Zinsen deutlich an, gab der Goldpreis seine gesamten Gewinne des bisherigen Jahresverlaufes wieder ab und erreichten die Inflationsraten dies- und jenseits des Atlantiks, Werte, die seit mehr als 40 Jahren nicht mehr verzeichnet wurden

Dies alles im Zeichen des brutalen Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, daraus entstehenden explosiven Preissteigerungen im Energiesektor und praktisch allen Wirtschaftssektoren sowie der Sorge um weltweit ausreichende Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in den kommenden Monaten. Eng mit dieser Entwicklung verknüpft sind anhaltende Probleme innerhalb der internationalen Lieferketten, eine Angebotsverknappung von wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs und bei Konsumgütern allgemein. Die so entstandene Angebotsverknappung sorgt bei anhaltend hoher Nachfrage für weitreichende Preissteigerungen, denen insbesondere die US-Notenbank (FED) mit einer Reihe von bereits angekündigten Zinssteigerungen begegnen will.

Andererseits verlief die Berichtssaison in den USA bislang erfreulich positiv. Elf der zwölf im S&P500 vertretenen Sektoren verzeichneten Umsatzanstiege und mehr als 50% der Unternehmen übertrafen die Erwartungen. Spitzenreiter waren die Sektoren Industrie, Informationstechnologie, Zyklischer Konsum und Nicht-Zyklischer Konsum, bei denen sogar über 80% der Unternehmen Umsatzsteigerungen jenseits der Erwartungen kommunizierten. Dennoch verlief die Kursentwicklung zum Teil extrem konträr. Innerhalb des breit gefassten Nasdaq Composite Index verloren mehr als die Hälfte aller Aktien über 50% an Wert!

Auf der Positiv-Seite können die Investoren jedoch verzeichnen, dass nach dem Ende der Berichtssaison zahlreiche hochvolumige Aktienrückkauf-Programme wieder aufgenommen werden, wodurch nach Schätzungen der US-Investmentbank Goldman Sachs mit einem zusätzlichen Transaktionsvolumen von etwa 5 Mrd. USD pro Tag zu rechnen sein dürfte. Ich erwarte hiervon mittelfristig eine deutliche Unterstützung der Kurse besonders bei den US-Qualitätstiteln.

Dennoch dürfte das volatile Umfeld den Anlegern noch eine Zeit lang erhalten bleiben. Denn die US-Notenbank hat nach Jahrzehnten der kapitalmarktfreundlichen Politik nunmehr eindeutig den Fokus auf den anderen Schwerpunkt ihres dualen Mandats gelegt: Sicherung eines stabilen Preisniveaus. Und leider ist die Mehrheit der FED-Mitglieder der Meinung, dass der Inflation nur mit einer Vielzahl von extrem schnellen und harten Zinserhöhungen beizukommen ist. Ob mit dieser Politik die Nachfrage so deutlich eingebremst werden kann, dass sie mit der aufgrund der bekannten Probleme eingeschränkten Angebotsseite kompatibel wird, ist dabei keineswegs sicher. Ebenso bleibt ein erhebliches Risiko für eine „Strangulierung“ der Konjunktur mit anschließender Rezession. Wenn der Vorsitzende der US-Notenbank anlässlich der letzten Pressekonferenz davon spricht, dass die FED explizit eine Verschlechterung der finanziellen Möglichkeiten der Banken anstrebt, dass lässt dies kaum Platz für Optimismus.  Selbst der theoretisch bewiesene und in der Praxis anerkannte Zeitverzug, mit dem Zinsmaßnahmen ihre Wirkung entfalten, scheint für die FED-Mitglieder kein Argument für ein behutsameres Vorgehen. Dazu kommt, dass ja nicht nur die Notenbank durch ihren scharfen Schwenk in der Geldpolitik für eine Abkühlung der Konjunktur sorgt, sondern auch die US-Regierung die Neuverschuldung in den vergangenen Monaten drastisch heruntergefahren hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Mehrheit der regionalen Notenbankgouverneure die Volatilität der Wirtschaftsentwicklung erheblich unterschätzt. Damit bleibt für die Kapitalmärkte die kompromisslose Geldpolitik der FED eindeutig das größte Risiko. In Europa dürfte ebenfalls etwas Druck auf die Zentralbank aufkommen, wenngleich dies im Vergleich zu den Entwicklungen in den USA angesichts der stärkeren wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Europa moderater ausfallen dürfte. Auch eine gewisse Rücksicht auf die hochverschuldeten Länder innerhalb der EU seitens der EZB begrenzt das Zinsrisiko. Ganz ausschließen darf man jedoch kräftigere Zinserhöhungen in Europa nicht, sollten die Inflationszahlen über mehrere Monate auf dem aktuellen Niveau verharren. Hier könnte es in den nächsten Wochen, je nachdem wie sich die EZB positioniert, zu deutlicheren Marktschwankungen kommen.

Auf der Aktienseite erwarten wir bei Unternehmen mit stabilem Wachstum, soliden Bilanzen und dauerhaft expansiven Cash-Flows in den kommenden Monaten gute Kaufgelegenheiten. Auch könnten positive Impulse aus dem Umfeld der chinesischen Regierung im Hinblick auf eine Beendigung des letzten Regulierungs-Zyklus für die Plattform-Ökonomie ein Signal für eine Erholung sein. Weiterhin erscheinen uns die Chancen in China durch ein allmähliches Zurückfahren der drakonischen Politik höher als die weiterhin bestehenden Risiken.

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