Frisst die Gier schon das Hirn?

Reddit und Robinhood machten es den Meme-Investoren möglich Short-Seller zu jagen. Das ist nun schon fast ein Jahr her und bereits damals kamen die ersten kritischen Stimmen auf, die in den neuartigen Investmentcommunities die ersten Alarmzeichen für eine Blasenbildung an den Märkten sahen. Seitdem hat der US-Technologieindex NASDAQ 100 weitere 25 % zugelegt und auch die anderen Aktienindizes verzeichneten weitere ordentliche Kursgewinne. Offensichtlich kamen die warnenden Rufe zu früh. Betrachtet man die Börsengänge im laufenden Jahr, dann könnte sich jedoch so ganz allmählich ein mulmiges Gefühl einschleichen. Bereits jetzt stürmten 949 Unternehmen in den USA an die Börse. Davon waren knapp 400 traditionelle IPOs und etwa 550 SPACs, also das neuartige Phänomen der Mantelgesellschaft, die erst nach dem Börsengang auf Suche nach geeigneten Übernahmezielen geht und deren Volumina gerade in der ersten Jahreshälfte alle bisherigen Dimensionen gesprengt hatten. Zusammen sind das nicht nur doppelt so viele Börsengänge, wie im Jahr 2020, welches trotz Corona ebenfalls bereits ein Rekordjahr war. Sondern auch viermal so viele wie im Jahr 2019 und mehr als doppelt so viele wie im Internet-Euphoriejahr 2000! Und noch etwas ist wie damals: Die ganz überwiegende Zahl von Börsen-Debuts hob anlässlich ihres ersten Handelstages von der schon sportlichen Emissionsbewertung nochmals ganz erheblich ab. 20%-30% Kursgewinn war das neue Normal und die Skala erreichte oftmals die 100%.

Schon der erste Börsenneuling 2021 sorgte für Aufregung. Mit der Firma Affirm setzte gleich ein Großer der „Buy now, pay later“ Bewegung die Benchmark. Über 100 % Kursgewinn gegenüber dem Emissionspreis und eine Bewertung von 25 Milliarden USD. Das entsprach in etwa dem 55-fachen Umsatz des Jahres 2020, was man durchaus als übertrieben bezeichnen kann. Aktuell wird Affirm mit 30 Milliarden USD bewertet und hat das 3.Quartal mit einem Verlust von 166 Millionen USD abgeschlossen.

Der Börsengang von Rivian in dieser Woche war dann der vorläufige Höhepunkt der IPO -Saison. Der Emissionspreis bewertete den US-Elektro-Autohersteller mit mehr als 100 Milliarden US-Dollar. Und das, obwohl die ersten Fahrzeuge von Rivian erst im September vom Band liefen und bislang nicht ein einziges Auto ausgeliefert wurde. Nun wird Rivian von Ford und vor allem von Amazon stark unterstützt. Der Internet-Gigant wird dem Börsenneuling bis 2030 mehr als 100.000 Elektro-Pickups abnehmen und damit für einen milliardenschweren Umsatz sorgen.

Eine Stimme, von der man skeptische Töne nicht unbedingt erwartet, hat sich in dieser Woche vorsichtig zu den Perspektiven für die Aktienmärkte geäußert. David Salomon, der Vorstandsvorsitzende der bekanntesten US-Investmentbank Goldman Sachs. In einem Interview mit
Bloomberg bekannte Salomon, dass er aktuell vermehrt Anzeichen für überbordende Gier an den Märkten sehe. Ähnlich wie zum Ende des vergangenen Jahrtausends führen langanhaltende Kurssteigerungen und ein immer stärker ausgeprägter Hang zu immer spekulativeren Investments zum schleichenden Verlust der Risikowahrnehmung. Denn wenn alles, in das investiert wird, stets steigt, fühlen sich auch unerfahrene Investoren bald unschlagbar. Nicht nur Salomon mit seiner 40-jährigen Berufserfahrung weist darauf hin, dass solchen Phasen keine lange Lebensdauer beschieden ist.

Andererseits weisen Insider darauf hin, dass Venture Capital Fonds zurzeit noch börsentaugliche Unternehmen mit einem geschätzten Wert von etwa 220 Milliarden USD in den Büchern haben, und gleichzeitig Hedgefonds und andere institutionelle Investoren auf mehr als 350 Milliarden USD sitzen, die auf Anlage in jungen Unternehmen warten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeitspanne zwischen der ersten Venture Capital Finanzierung und einem Börsengang in den vergangenen 20 Jahren von etwa 4 Jahren auf rund 8 Jahre gestiegen ist. Das bedeutet, dass die Börsenaspiranten heutzutage besser finanziert, deutlich größer und reifer sind, wenn sie den Sprung aufs Parkett wagen.

Fazit: Allein die Tatsache, dass in diesem Jahr neue Rekorde bei Anzahl und Volumen der IPOs realisiert werden, ist für sich kein Indiz für überbordende Euphorie. Andererseits: Die zum Teil durchaus exzessiven Bewertungen für Börsenneulinge sind nur im aktuellen Zinsumfeld haltbar. Sollten die Zinsen ihren Aufwärtstrend beibehalten, könnten sie schnell zum Stolperstein der Märkte auf ihrem Höhenflug werden und allzu gierige Anleger zu Fall bringen.

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