Wochen der Wahrheit

In diesen Wochen werden an den Börsen die Weichen gestellt. Es stehen auf dem Programm der Investoren: Eine Flut von volkswirtschaftlichen Daten, die Zinsentscheidung der US-Notenbank und Quartalsergebnisse einer Vielzahl der Unternehmen mit Leuchtturmfunktion an Wall Street. Das politische Umfeld bleibt weiterhin angespannt, die Furcht vor anhaltend hoher Inflation gepaart mit einer deutlichen Abschwächung der konjunkturellen Dynamik steckt den Investoren in den Knochen, da wären positive Signale von den Unternehmen äußerst hilfreich. Die jüngsten Ergebnisse waren durchwachsen. Einerseits zeigt die Statistik der gerade angelaufenen Berichtssaison, dass ziemlich genau 66% aller Unternehmen die Erwartungen an Umsatz und Gewinn übertroffen haben. Andererseits veröffentlichten deutlich mehr Unternehmen negative als positive Ausblicke auf das 3. Quartal und das zweite Halbjahr.  Zudem befeuerten die in der vergangenen Woche veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes erneut Rezessionsängste, da gerade der für die US-Wirtschaft wichtige Service-Bereich schwache Zahlen aufwies. Auch die schwachen Geschäftszahlen von Snap, die geringer als erwartete Werbeeinnahmen veröffentlichten, halfen den Technologiewerten nicht und führten zu deutlich sinkenden Kursen bei den größeren Mitbewerbern um Werbebudgets, wie zum Beispiel Meta Platforms, Alphabet oder Pinterest. Jetzt richten sich in dieser Woche alle Blicke auf die Großen der Technologiewerte. Alphabet, Microsoft, Meta Platforms, Amazon, Apple und Intel werden ihre Quartalsberichte veröffentlichen. Und mit ihnen ein Drittel aller im S&P 500 notierten Aktien. Auf acht bis zehn Prozent schätzt die Analystengilde den durchschnittlichen Ergebniszuwachs der 500 im S&P versammelten Unternehmen. Dabei ist es wichtig auf die weit auseinanderlaufenden Trends in den unterschiedlichen Branchen hinzuweisen.

Auf eins müssen sich die Anleger beim Studium der Veröffentlichungen mit Sicherheit einstellen. Der starke US-Dollar wird die Umsatz- und Gewinnzahlen der berichtenden Unternehmen belasten. Das wurde in den vergangenen Tagen bei den Veröffentlichungen von IBM, Netflix, Johnson&Johnson oder Philip Morris bereits deutlich. Die großen Techwerte werden diese Auswirkung aufgrund ihrer geographischen Umsatzverteilung ebenfalls spüren. So wies Microsoft bereits vor einigen Wochen auf die negativen Umsatzeffekte des festen US-Dollar für sein globales Geschäft hin und passte deshalb seine Prognose für 2022 nach unten an. Für einen gewissen Optimismus bei den Investoren sorgte jedoch die aktuelle „Kurs-Resilienz“ vieler Titel. Trotz kurzfristiger Enttäuschung erholen sich aktuell die Aktienkurse häufig bereits nach kurzer Zeit, was darauf hinweist, dass die teilweise deutlichen Kursrückgänge der letzten Monate nunmehr die Bewertungen vieler Aktien langfristig wieder auf ein attraktives Niveau gebracht haben. Wobei die Gesamtmarktbetrachtung im Grunde überflüssig ist. Denn die außergewöhnlichen Gewinnsteigerungen der Energiewerte verzerren aktuell die Indexbetrachtung massiv. Auf der Ebene der Einzelwerte finden dagegen interessante Bewertungs-Verschiebungen statt. So bewertet der Markt eine Coca-Cola Aktie aktuell mit dem 23-fachen des für 2023 erwarteten Ergebnisse, während die Alphabet Aktie im Vergleich hierzu mit einem Kurs-Gewinn- Verhältnis von nur 16 schon fast wie ein Schnäppchen anmutet. Und auch der Apple Aktie wird aktuell vom Markt kaum noch Wachstum zugetraut. Aktuell weist der i-phone Hersteller mit einem Multiple von 23 auf Basis der erwarteten Gewinne für 2023 dieselbe Bewertung auf, wie der Konsumgüterhersteller Procter&Gamble.

Am Freitagabend dieser Woche werden wir deutlich schlauer sein als heute und dennoch wird auch diese Berichtssaison nicht alle Fragen klären können. Gleich zwei Antworten werden am Mittwoch und am Donnerstag aus den USA erwartet. Am Mittwoch wird die FED, wenn die Markterwartungen nicht trügen, die Zinsen um 75 Basispunkte erhöhen. Pikanterweise wird am nächsten Tag die Wirtschaftsentwicklung der USA im abgelaufenen Quartal veröffentlicht. Sollte dort auch diesmal ein Minus auftauchen, befände sich die US nach gängiger volkswirtschaftlicher Definition in einer technischen Rezession. Am Freitag erwarten wir dann die Zahlen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland und der gesamten Eurozone und Inflationsdaten aus Europa und den USA.

Aktuell treffen hochvolatile Zahlen und Daten von Unternehmen und aus den Volkswirtschaften auf einen fast maximal pessimistisch eingestellten Markt. Die jüngsten Stimmungsumfragen unter den größten Fondsmanagern und Kapitalsammelstellen in den USA lagen zum Teil auf einem Niveau, was selbst zu Zeiten der Finanzmarktkrise nicht gesehen wurde. Die Cash Quoten der Aktienfondsmanager in den USA sind auf das höchste Niveau seit dem 11. September 2001 gestiegen, während die Aktienquoten auf das niedrigste Niveau seit der Finanzkrise gesenkt wurden. Doch das ist noch nicht alles. Die Gewinnerwartungen für die Unternehmen sind kollabiert und liegen weit unter den Erwartungen zum Zeitpunkt der Lehmann Brother Pleite oder beim Peak der Covid-19 Pandemie. Ein Blick zurück zeigt, dass in solchen Phasen positive Entwicklungen völlig ausgeschlossen werden, was wiederum die Chance für Überraschungen bietet. Sollte die globale Wirtschaft nicht in den kommenden Wochen und Monaten in ein völliges Desaster abgleiten, dürfte sich der Blick auf einzelne Aktien und Sektoren mittel- und langfristig wieder lohnen. Die Geduld für den richtigen Moment ist dabei allerdings unabdingbar.

    Newsletter abonnieren

    Wir bieten unseren Kunden und Interessenten verschiedene regelmäßige Publikationen an, welche als Newsletter abonniert werden können.

    Rückblick, Ausblick und Strategieupdate zu unseren Vermögensverwaltungsstrategien (Link: aktuelle Ausgabe)

    :

    Aufarbeitung relevanter Themen im Kontext der Kapitalmärkte durch unseren CIO Dr. Martin Stötzel, sowie Interviews und gelegentliche Gastbeiträge (Link: aktuelle Ausgabe)

    *Pflichtfelder